Maria, breit den Mantel aus

Wer „katholisch“ lebt, für den ist jeder Tag reich, ja sogar ein Fest. Denn mit der Kirche feiern wir jeden Tag ein anderes Geheimnis der Offenbarung oder der Erlösung oder einen Freudentag im Gedenken an einen Heiligen! Jeden Tag lädt uns Gott so zum Danken ein. Kein Tag gleicht dem anderen, an jedem Tag stellt uns die heilige Kirche ein Licht vor Augen, das uns auf unserem irdischen Lebensweg einen Schritt weiter bringen soll, indem es uns leuchtet und mit Erleuchtungen erfüllen kann.
Besonders innig feiert die katholische Kirche die Marienfeste. Und in schweren und gefahrvollen Zeiten fleht und flieht das katholische Volk gern zu Maria. Über das ganze Kirchenjahr verteilt begegnen uns marianische Feste oder Gedenktage. Sie gehören nach den Festen Christi und der Dreifaltigkeit zu den höchsten des Kirchenjahres. Sind sie ja meist mit den Geheimnissen Christi, unseres Erlösers, eng verbunden. Sie ragen unter den übrigen Heiligenfesten hervor, weil Maria im Leben Christi und damit folglich auch im Leben der Kirche eine wichtige Rolle einnimmt.
Jeder Monat des Kirchenjahres kennt bestimmte marianische Gedenktage. Doch vor allem der Monat Mai und der Oktober sind uns als besondere Marienmonate bekannt, die sich besonders auch dadurch auszeichnen, dass in ihnen nach altem Brauch vor allem das gemeinsame Rosenkranzgebet gepflegt wird (Maiandachten, Oktoberrosenkranz).
Weil Maria das edelste und vollkommenste Geschöpf Gottes ist und weil sich ein Abglanz der ursprünglichen Schönheit der Schöpfung besonders in der Frische und in der Blütenpracht des Frühlings zeigt, wo alles wie am Schöpfungsmorgen aus dem Nichts wieder zu neuem Leben ersteht, so wurde der Frühlingsmonat Mai in der katholischen Kirche zum Marienmonat schlechthin, in dem uns die ganze Schöpfung so sehr auch an die vollkommene Schönheit und Reinheit Mariens erinnert, die nie vom kleinsten Makel einer Sünde befleckt wurde. Alle Blüten zeichnen sich durch wunderbare Schönheit aus, die Schönheit Mariens aber übertrifft sie alle, weil sie das edelste und heiligste Geschöpf Gottes ist.
Mariens Schönheit ist ihre Heiligkeit, sie gründet in ihrer Liebe zu Gott und darin auch zu den Menschen. Darum hat sie Gott nicht nur für sich selbst zur Mutter erwählt und sie im Voraus von jedem Makel der Erbsünde frei bewahrt, sondern Er hat sie auch uns, den Gliedern Seiner heiligen Kirche, nicht nur als Vorbild, sondern sogar als Mutter geschenkt!
Maria ist das erste Glied der Kirche Jesu Christi. Sie ist das Urbild der Kirche, welche in ihren Gliedern, in der Taufe durch Jesu Blut vom Makel der Sünde befreit, wie Maria zur Heiligkeit und zu einem ewigen Leben in der Liebe Gottes berufen ist!
Mit dem heiligen Apostel Johannes, der mit Maria unter dem Kreuz Jesu stand, hören auch wir die Worte Jesu: „Siehe da, deine Mutter!“ (Joh. 19,27). „Von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (ebd.). Die Kirche verstand diese Worte immer an uns alle gerichtet. Christus wollte, dass Seine Mutter auch unsere Mutter werde. Seit den ersten Tagen der Kirche erfüllte Maria so eine mütterliche Aufgabe unter den Jüngern Jesu.
Weil Jesus wollte, dass Johannes sie als Mutter annehme, schenkte er auch ihr einen neuen Sohn: „Frau, siehe da deinen Sohn!“ (Joh.19, 26). Doch nicht nur Johannes wird damit als Jünger Christi ihr Sohn, sondern als Mutter Christi wird Maria auch die Mutter aller Seiner Glieder. Sie spielt im Herzen der Kirche daher eine wichtige Rolle, auch wenn sie sich demütig zurücknimmt, um dem Wirken Gottes Raum zu schenken. Als die Jünger Jesu nach Seiner Himmelfahrt vom Ölberg zurückkehrten, um sich im Gebet auf die versprochene Ankunft des Heiligen Geistes vorzubereiten, da zeigt die Apostelgeschichte, wie sich die junge Kirche mit Maria und um Maria zum Gebet versammelt: „Sie alle verharrten einmütig im Gebet zusammen mit den Frauen, zumal mit Maria, der Mutter Jesu, und mit Seinen Brüdern“ (Apg. 1, 14).
So ging die Kirche von Anfang an ihren Weg in der Nachfolge Christi, geschart um die Mutter Maria, auch ohne dass sie das Amt eines Apostels oder eines Hirten der Kirche der Kirche wahrgenommen hätte. Wie hätte es auch anders sein können? Denn wer ist tiefer ins Geheimnis der Menschwerdung und der Liebe Gottes eingedrungen als Maria. In wem konnte sich die Gnade und die Weisheit des Heiligen Geistes so entfalten und zeigen wie in ihr, die Ihm in allem vollkommen treu war? Durch sie wollte der Sohn Gottes zu uns Menschen kommen. Und so können auch wir durch sie zu Christus kommen.
Das soll und darf man übrigens auch heute im Streit um die „Führungsämter“ in der Kirche nicht vergessen: Es gibt verschiedene Berufungen. Eine Frau, selbst wenn sie unverheiratet oder Ordensfrau und keine Mutter im leiblichen Sinn ist, trägt in sich immer auch diese mütterliche Berufung, die Maria zukam und ihr immer zukommt. Diese geht über die Beziehung, die der Vater zum Kind hat, in einer bestimmten Weise immer hinaus. Wer ist seinen – leiblichen oder geistlichen – Kindern näher als eine Mutter, wer kann sie besser und tiefer in das Verständnis der Glaubensgeheimnisse und der Liebe Gottes einführen als das Beispiel der Mutter? Christus beruft jeden je nach seiner Anlage. Väter können nicht die Aufgabe der Mütter ausfüllen, selbst wenn sie vielleicht manchmal, z.B. nach dem Tod der Mutter diese Aufgabe teilweise mitübernehmen, wie umgekehrt Mütter nicht die Rolle des Vaters ausfüllen können, selbst wenn sie diese im Notfall mitübernehmen müssten. Hier ergänzen die jeweiligen Väter oder Mütter nur etwas, das eigentliche Amt des Vaters oder der Mutter und die jeweilige Berufung bleibt in seiner Unterschiedlichkeit jedoch bestehen und kann nicht aufgehoben werden.
Maria hat von Gott her eine besondere mütterliche Aufgabe in der Kirche: Sie ist Helferin, Führerin und Beschützerin der Kinder Gottes. Wer kann die Kinder besser leiten, trösten oder unterweisen als eine Mutter? Wer kann ihnen mehr Hilfe auf ihrem Weg geben, wer kann ihnen die Nähe, die Güte, die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit Gottes besser im Geiste erschließen als sie?
So schaut auch die Kirche auf Maria als Helferin und Führerin zu allen Tugenden, mit denen ein wahrer Jünger Christi ausgezeichnet sein soll. Jesus Christus ist unser Ideal, ihm wollen und sollen wir in unserem Leben nachfolgen, wie wir es ja in den Taufgelübden versprochen haben. Durch Sein Kommen ist uns der Weg der Heiligkeit wieder eröffnet, mit Seiner Gnade und durch Seinen Tod am Kreuz sind wir wieder fähig, uns von den Banden der Sünde zu lösen und unser Leben in der Liebe des Heiligen Geistes zu führen.
Dennoch ist der Weg der Nachfolge Christi nicht immer leicht, und die Kinder der Kirche sind froh, dass ihnen Christus auch Seine Mutter als Helferin und als fürsorgliche Mutter gegeben hat. Als Mutter Christi führt sie uns auf dem Weg des Lebens. Ja, sie ist wegen ihrer Nähe zu ihrem Sohn und wegen ihrer Heiligkeit der hervorragendste und vorzüglichste Weg zu Christus hier auf Erden, den die Kirche seit alten Zeiten kennt. Und in diesem Sinn preisen Maria auch viele Heilige. „Durch Maria zu Jesus!“ ist in der Kirche nicht nur ein geflügeltes Wort oder ein willkürlicher, von Menschen erfundener Weg oder Wahlspruch, sondern ist Ausdruck einer Wahrheit, die durch ihre Berufung als Mutter Christi und durch Jesus Christus selbst grundgelegt wurde, der uns ihr als Kinder anvertraut hat und der sie uns vom Kreuz herab auch zur Mutter gegeben hat, die in dieser Funktion auch für ihre Kinder sorgen soll.
Bekannt und beliebt ist in der katholischen Christenheit eine Abhandlung über die Marienverehrung des heiligen Grignion Maria von Montfort (1673 – 1716), unter den Gläubigen auch als „Das Goldene Buch“ bekannt, weil dort sehr ausführlich, aber auch einfach dieses gottgewollte Geheimnis erklärt und dargestellt wird, wie der Christ in der Hingabe an Maria am schnellsten und einfachsten zur vollkommenen Nachfolge Christi gelangen kann. Denn wie Maria sich ganz dem Willen Gottes und dem Dienst an ihrem göttlichen Sohn geweiht hat, so hilft sie auch uns, die wir ja oft noch so weit von diesem Ideal entfernt sind, den Willen Gottes auf vollkommene Weise in unserem Leben erfüllen zu lernen.
Der heilige Grignion zeigt, dass die Hingabe an Maria ein leichter, kurzer, vollkommener und sicherer Weg der Nachfolge Christi ist, weil Maria, wenn wir uns ihr ganz hingeben und überlassen, sich auch uns schenkt und uns ihre Tugenden mitteilt. Wir selbst können ja auf unsere Werke nicht vertrauen, da sie meist so unvollkommen und schwach sind. Letztlich müssen wir unserem Herrn und Erlöser immer wieder ähnlich wie die Apostel im Seesturm zurufen: „Herr rette uns, wir gehen sonst zugrunde!“ (Mt.8,25; vgl. Lk.8,24).
Der Herr hilft gern, denn Er ist ja zu unserer Rettung als Heiland auf diese Welt gekommen und hat Sein Leben blutig für uns am Kreuz hingegeben. Als „Rettungsring“ in den Stürmen, die uns bedrängen, gibt Er uns auch vorzüglich Maria als unsere Mutter und Herrin. Wenn wir uns als Diener Mariens ihr weihen - der heilige Grignion spricht sogar von einer freiwilligen Hingabe als „Sklaven“, weil wir ja nichts für uns behalten, sondern unser Leben vertrauensvoll in ihre Hände legen -, dann veredelt und reinigt sie alle unsere Werke, weil sie uns dahin führt, wie sie selbst in allem nur die Ehre Gottes suchte.
Die Hingabe an Maria ist ein leichter Weg zu Christus, weil sie uns wie eine natürliche Mutter an ihre Hand nimmt und führt, es ist aber auch ein kurzer Weg, weil niemand Christus so nahe steht wie sie. Es ist ein vollkommener Weg, weil nur Maria die Vollkommenheit des Dienstes Gottes ganz in ihrem Leben verwirklicht hat und uns so auch in diese Vollkommenheit der Liebe zu Gott und Seinen Geboten hineinführen kann. Und es ist ein sicherer Weg, weil Maria uns nie in die Irre führt, so dass viele Heilige auf diesem Weg schon zu großer Heiligkeit und Vollkommenheit gelangt sind. „Dort, wo Maria ist, kann der Teufel nicht weilen“, schreibt der heilige Grignion in seinem „Goldenen Buch“ (Das Goldene Buch, Feldkirch 1987, S.119). „Daher ist es ein unfehlbares Kennzeichen, dass man vom guten Geist geführt wird, wenn man eine große Andacht zu dieser guten Mutter hat, oft an sie denkt und oft von ihr spricht… wie das Atmen ein sicheres Zeichen ist, dass der Körper lebt, so ist der häufige Gedanke an Maria und ein oft wiederholtes, liebevolles Gebet zu ihr ein sicheres Merkmal, dass die Seele, frei von der Sünde, das Leben der Gnade bewahrt hat“ (ebd.).
Maria wird deshalb auch als Überwinderin aller Häresien verehrt und angerufen, weil jeder, der sich von ihr führen lässt, niemals die Liebe zu Christus oder zu Seiner heiligen Kirche verlassen wird. Ein treuer Diener Mariens, der sich durch sie und unter ihrer Führung Christus übergibt, wird, selbst wenn er (materiell) in einen Irrtum fallen sollte, „früher oder später … seinen Fehler … erkennen, und wenn er ihn erkannt hat, wird er nie und nimmer hartnäckig darauf bestehen oder daran festhalten“ (a.a.O., S.120). Maria macht unsere Herzen offen für das Wirken des Heiligen Geistes.
Deshalb ist in der katholischen Kirche auch das Wort bekannt, das aus dem Vertrauen auf die Hilfe und auf die heiligende und heilende Führung Mariens erwachsen ist: „Ein Diener Mariens geht niemals zugrunde!“ Echte und wahre Marienverehrung kann nicht von Christus wegführen, wie viele Protestanten behaupten, sondern sie führt ein in die wahre Gemeinschaft mit Christus und in die Liebe des Heiligen Geistes!
Der heilige Grignion betont auch, dass die Hingabe an Maria zu großer innerer Freiheit führt, weil sie uns dadurch, dass wir uns ganz ihr überlassen, von Skrupeln und knechtischer Furcht befreit. Er weist auch darauf hin, dass unsere Hingabe an Maria uns zum Segen für unsere Mitmenschen werden lässt, weil Maria uns immer zur wahren Liebe führt und uns so auch für andere zu wahren Boten der Liebe Christi werden lässt. Endlich erlangen wir, wenn wir die Weihe an sie leben und täglich erneuern, durch sie auch die Beharrlichkeit auf unserem Weg zur Vollendung, die uns schwachen Menschen so oft fehlt.
Es ist deshalb kein Zufall, dass gerade in Notzeiten die Menschen sich immer an diese ihre himmlische Mutter gewandt haben, sie um Hilfe und Schutz angerufen haben, und dass auf vielen alten Bildern die Glieder der Kirche – angefangen vom Papst und König bis zu den einfachen Gläubigen - als unter dem Schutzmantel Mariens stehend dargestellt wurden!
Viele alte Wallfahrtskirchen und –bilder geben Zeugnis vom großen Vertrauen der Christenheit zu Maria, und zahlreiche Mariengebete und –lieder künden von der Liebe des katholischen Volkes zu seiner Mutter. Maria scheint auch in den zunehmenden Kämpfen der Kirche auf dem Weg durch die Zeit von Gott berufen, eine immer wichtigere Rolle als Helferin und Schützerin der Christenheit zu übernehmen, wie ja die vielen Marienerscheinungen der letzten Jahrhunderte es nahelegen.
So dürfen auch wir, die wir in einer schwierigen und gefahrvollen Zeit leben, in der immer dunklere Wolken das Licht der Sonne verhüllen und die Donnerschläge des endgültigen Kampfes der Finsternis gegen das Licht und gegen die Kinder Gottes immer lauter werden, während natürlich auch der Sieg des Lichtes Christi am Ende der Zeiten immer näher rückt, mit den Christen der ersten Jahrhunderte einstimmen in das Gebet, das als das älteste Mariengebet bekannt und seit dem Ende des dritten Jahrhunderts überliefert ist:

Unter Deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin!
Verschmähe nicht unser Gebet in unseren Nöten, sondern errette uns jederzeit aus allen Gefahren!
O Du glorwürdige und gebenedeite Jungfrau, unsere Frau, unsere Mittlerin, unsere Fürsprecherin!
Führe uns zu Deinem Sohne, empfiehl uns Deinem Sohne, stelle uns vor Deinem Sohne! Amen!

Thomas Ehrenberger

 

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